Jagdverlauf und Beute

Der Jäger ist nun seit etwa 6 Monaten ein stetiger, aber beiläufiger Begleiter meines Lebens. Und ich habe viel gelernt von ihm. Über mich, über Beziehungen, über Sex, über Spaß, über Blödsinn und übers Erwachsensein. Ich bezweifle, dass ihm das klar ist.
Es ist das erste Mal, dass ich erfolgreich das Modell friends with benefits(oder wie auch immer man es betiteln möchte: Affäre, fwb, Freunde+, etc.) lebe und es genießen kann, ohne Angst, jemand würde sich verlieben oder anhänglich werden. Und das ist ein wichtiger Punkt, den ich gelernt habe. Es geht, es funktioniert.
Ich hatte bisher quasi durchgängig Beziehungen in meinem Leben und wenn man so will, war ich insgesamt etwa 1 Jahr Single seit ich 13 war (wir rechnen jetzt mal nicht genau nach, aber es sind mehr als 13 Jahre, die ich in Beziehungen verbracht habe).
Vereinfacht gesagt habe ich immer jemanden gehabt, bis jemand vorbeikam, der mit besser gefiel. Das liest sich grausam und war natürlich deutlich komplexer und individueller auf der emotionalen Ebene, aber dazu vielleicht später einmal mehr.
Alleinsein ist nicht gerade meine Stärke. Während ich sehr genieße mal einen Abend für mich zu haben, so ist das Alleinsein auf Dauer immer eine Horrorvorstellung für mich gewesen. Was wenn ich vom Weg abkommen? Was, wenn ich allein verantwortlich dafür bin, dass und wie mein Leben läuft? Was, wenn ich mich nicht auf jemanden anderes konzentrieren kann, wenn mir mein Leben zu viel wird?
Bisher war die Anwesenheit eines anderen Menschen auch immer eine Flucht für mich. Davor, mich mit meinem eigenen Kram auseinanderzusetzen, plus ich bin eine Meisterin der Anpassung. Wenn es sein muss, kann ich mich mit jedem noch so abgefahrenen Hobby anfreunden und finde vielleicht sogar selbst gefallen daran. Aber auch emotional passe ich mich schnell an, ich werde manipuliert (oftmals unbeabsichtigt und seltenst mit Absicht). Manipuliert werden ist passiver und entlastet mich ein wenig von der Verantwortung, die ich auch nicht auf meine Exen abwälzen will. Nein, es gehören zwar zwei dazu, aber der eine tut unbewusst, der andere lässt unbewusst mich sich machen. Das sind Dynamiken, die man mit viel Arbeit durchbrechen kann, man kann es aber auch lassen. Bisher habe ich mich mit all meinen Partner-Menschen wohlgefühlt und bis auf wenige Ausnahmen auch nicht ausgenutzt. Ich kann ehrlich behaupten, eine fantastische Riege an Menschen in meinem Leben gehabt zu haben, die mir alle viel bedeutet haben. Trennungen sind nie schön, doch die meisten sind fair verlaufen, mit einem Großteil bin ich noch rege in Kontakt.
Jetzt bin ich also Single, seit schon fast einem Jahr und lerne nun vom Jäger, wie man Nähe und Geborgenheit auch außerhalb einer Beziehung erfahren kann. Und inwiefern das anders ist, als eine Beziehung zu führen.
Vorweg: Es ist großartig und passt genau in meine Lebenssituation zur Zeit. Ich hätte nicht gedacht, dass ich, als emotional konditionierter Mensch (verlieben, binden, behalten, Ausschau nach was anderem) einmal genießen könnte, nicht für jemanden da zu sein. Nicht aus Verpflichtung. Ohne verletzt sein, ohne verliebt sein, ohne Zukunftspläne. Ohne garantiertem Payback. Ohne Kalkül. Es ist tatsächlich ehrlicher, ein solches Beziehungsmodell zu fahren, als würde man sich ewige Liebe schwören. Es gibt keine Floskeln, nach ‚Ich mag dich‘ ist die emotionale Leiter erklommen, danach kommt nichts mehr. Und das ist gut so. Ich mag den Jäger. Er begleitet mich nun schon eine Weile und er hat nur wenig Ahnung davon, was ich so mache, was in meinem Leben so passiert. Er lernt mich ohne Alltag kennen und das ist ein großartiger Luxus heutzutage. Wenn es mir nicht gut geht, treffen wir uns nicht. Wenn ich keine Lust habe, ihn zu sehen: treffen wir uns nicht. Wenn er keine Lust hat: treffen wir uns nicht. Wir sehen uns nur, wenn beide Zeit und Muße haben, sich einen Abend frei zu nehmen. Es ist ein Date auf Abruf, dass bisher kontinuierlich lustig, entspannt und frei von Erwartungen war. Und dabei schwanken unsere Gesprächsthemen von Blödsinn zu Tagespolitik, von geradezu kindlichen Lachanfällen zu küchenpsychologischen Diskussionen. Wir gehen ins Kino, spazieren, fahren mit dem Auto durch die Gegend und singen schief bei schlechten Popsongs mit.
Wir teilen die Leichtigkeit, die eine frische Beziehung Anfang der Zwanziger mit sich bringen würde und lassen den Balast einfach heraus.
Ob dies ein Modell ist, dass einen ein Lebenlang erfüllen kann, bezweifle ich. Mir würde es vermutlich dauerhaft nicht reichen, denke ich. Aber was weiß ich schon, ich dachte auch, ich kann fwb nicht und würde mich zu schnell verbeißen und mehr wollen. Durch seine Distanz hat der Jäger mir beigebracht, dass ich nicht gleich Heiratspläne mit jemandem schmieden muss, um eine gute Zeit zu haben. Und damit meine ich nicht flüchtigen Sex, sondern tatsächliches Vertrauen und Geborgenheit. Einanderen Verletzlichkeit eingestehen, ohne Abhilfe zu erwarten. Man-Selbstsein ohne sich zu verstellen und daraus Bestätigung ziehen. Und daraus ziehe ich wundersamerweise genauso Bestätigung wie aus einer Beziehung. Mehr noch vielleicht.
Ein fester Partner gibt uns das Gefühl von Dazugehören, von sozialer Legitimation. Wenn es ein Mensch so nah und eng mit mir aushält, kann ich ja nicht so schlimm sein. Ist man in einer Beziehung und merkt, dass es doch nicht passt, so geht das ganze Trennungsgehabe los (gegenseitig ausspielen, Streit, Unzufriedenheit, im nervigsten Fall: Hab und Gut aufteilen), wenn ich den Jäger nicht mehr sehen will, sag ich es ihm einfach. Würde er mich nicht mehr sehen wollen, würde er es mir sagen. Die Konsequenzen sind vergleichbar gering. Daher rührt meiner Ansicht nach die besondere Ehrlichkeit und Offenheit unserer Begegnungen.
Ein Ende dieser Affäre ist allerdings schon für den Sommer vorgemerkt, dann wird der Jäger sich neuen beruflichen Projekten widmen, anderenorts. Bis dahin, oder bis sich aus anderen Gründen die Treffen nicht mehr ergeben, genieße ich, über Tinder eine guten Freund und interessanten Menschen kennengelernt zu haben. Wer hätte das gedacht.

Veröffentlicht: 16.März 2017